Es gibt Platten, da denkt man sich beim ersten Hören: Joa, soweit ganz nett, das habe ich erwartet. Dann gibt es aber auch Alben, bei denen man das Gefühl hat, man hätte gerade eine Faust mitten in die Fresse bekommen. Einfach aus dem Nichts. Boom. Karacho von den Donots gehört im besten Sinne zu zweiter Kategorie. Und in genau dem Moment erinnert man sich an den eigenen verdutzen Gesichtsausdruck und die nach oben schnellende Augenbraue, als man mitbekommen hat: Das neue Donots – Album wird auf deutsch sein. Gleichzeitig schämt man sich jetzt aber ganz schrecklich für den Gedanken, den man in diesem Moment hatte: „Ach du Scheiße, das wird nix. „Das Neue bleibt beim Alten“ (feat. Tim McIlrath) war ja schon nicht so der Hammer und davon jetzt ein Album? Na herzlichen Dank… nicht.“ Entsprechend kritisch wurde dann die erste Singleauskopplung „Ich mach nicht mehr mit“ beäugt und siehe da, sie gefiel und langsam beschlich einen das Gefühl, dass das vielleicht doch was werden könnte, mit den Ibbenbührenern und der deutschen Sprache. Klang nach gutem, soliden Punkrock, der sich auf Konzerten definitiv zum Klassiker entwickeln könnte. Soweit so gut, der erste Eindruck war zufriedenstellend und das trotz extremer Skepsis.
Als dann das Album erschien und nach der schon bekannten Single auf das zweite Lied sprang, traute ich den eigenen Ohren nicht. Etwas, das ich seit Jahren schmerzlich vermisst hatte klang da aus den Lautsprechern. „Dann ohne mich“, definitiv eines der stärksten Lieder auf der Platte, erinnert sowohl musikalisch, als auch textlich stark an die Band Muff Potter. Man könnte meinen, Nagel höchstpersönlich hätte den Kugelschreiber für den Songtext angesetzt, um ihn dann gemeinsam mit Niki von JupiterJones zu vollenden. Das wage Gefühl verstärkt sich dann spätestens bei „Kopf bleibt oben“ und das sich langsam im Gesicht festsetzende Grinsen zementiert sich spätestens bei seinem Refrain, der von den Fans gesungen sicher ganz wunderbar klingen wird. Die Lorbeeren für die Texte gehen hier aber nicht wie vermutet an Nagel und Niki, sondern allein an Ingo Knollmann, der auf Karacho songwritingtechnisch wohl die beste Arbeit der letzten 21 Jahre Bandgeschichte abgeliefert hat. Auf Deutsch zu texten ist gemein und die Gefahr in hässlich-kitschtriefende Plattitüden abzurutschen ist leider erfahrungsgemäß ziemlich groß. Passiert bei vielen Bands, aber sicher nicht bei den Donots. Anstatt mit wertbefreiten Aussagen um sich zu werfen, hält Knollmann dem aufmerksamen Zuhörer viel lieber einen Lebensspiegel vor die Nase. Vom leider immer noch viel zu aktuellen politischen Statement in „Dann ohne mich“ bis zum leicht schnoddrig daherkommenden „Problem kein Problem“. Ein Lied, das sich auf eine sehr charmante Art der unperfekten Perfektion eines jeden Menschen widmet. Einen runden Abschluss bekommt das Album durch „Hansaring, 2:10 Uhr“, eine Ode an glückliche, versumpfte Kneipenabende mit guten Freunden und das Gefühl, dass das die besten Momente im Leben sind. Durch den eher folklastigen Sound versprüht es einen Vibe an bierseliger Einigkeit, wie es bisher nur Frank Turners „The Ballad of me and my Friends“ geschafft hat. Andere Lieder wie das wütende „Kaputt“ oder „Du darfst niemals glücklich sein“ brauchen dagegen zwei, drei Hörgänge länger, um zu wirken.
Musikalisch geht Karacho deutlich mehr nach vorn, als beispielsweise sein Vorgänger Wake the Dogs und bleibt aber dennoch angenehm eingängig. Die Donots orientieren sich dabei wohl an Helden alter Tage, pusten diesen gehörig den Staub ab und schütteln sich selbst von allen Konventionen frei. Das Ergebnis ist ein von allem nutzlosen Ballast entschlacktem und auf das Essenzielle heruntergebrochener, aber gerade deswegen zu hundert Prozent energiegeladener Punkrock. Genau das funktioniert in Kombination mit Knollmanns floskelfreien Texten. Irgendwie setzt sich das Gefühl fest: ehrlicher und echter waren die Donots noch nie. Sie sagen, was sie denken, spielen, was sie wollen und machen mit einer angenehmen fuck – off Attitude, worauf sie Lust haben. Und wenn es jetzt ein Album auf Deutsch sein soll, dann ist dem eben so. Das macht die Platte nur noch sympathischer.
Woran schon nach dem ersten Hören keiner mehr zweifeln wird: Karacho ist der Stoff, aus dem schwitzige Liveshows gemacht werden. Dabei wird „Hier also weg“ absolutes Zerstörerpotential haben und wohl einige blaue Flecken verschulden, aber das ist nur gut so.
Auch auf die Gefahr hin, jetzt doch selbst in fürchterliche Plattitüden abzurutschen: Die Donots strafen alle Skeptiker, die den Wechsel ins Deutsche mit hochgezogenen Augenbrauen und einem verächtlichen Schulterzucken zur Kenntnis genommen haben mit einer dicken, lauten Watschen und einem ins Gesicht gestreckten Mittelfinger. Es bleibt mir nicht mehr, als mich zu verneigen, denn „Karacho“ ist nicht nur ein gutes Album, es ist eher eine verdammt geile Platte, die, wenn man sich darauf eingelassen hat, riesigen Spaß und Bock auf mehr macht. Damit haben die Donots bewiesen, dass der Mut, angestammte Pfade zu verlassen eben doch belohnt wird. In diesem Fall mit einer grandiosen Platte.
Ach und Donots: Die musikalische Backpfeife habe ich mit Ehren eingesteckt und wegen der Fehleinschätzung und Skepsis auch verdient. Ihr könnt das mit dem Deutsch sehr wohl. Danke, dass ihr mich eines Besseren belehrt habt!
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