Verzweifelt huste ich, schließe die Augen hinter meiner riesigen Sonnenbrille und drehe den Kopf möglichst weit weg von der dichten Staubwolke, die mich jetzt fast verschlingt. Nein, ich bin nicht in einem Sandsturm in der Sahara gelandet, sondern auf einem Stoppelfeld am Strömthaler See in der Nähe von Leipzig. Grund für meinen asthmatischen Anfall ist auch ganz profan ein vorbeifahrendes Auto auf der Suche nach einem Parkplatz auf dem abgemähten Feld und damit völlig unspektakulär. Es ist Freitag Mittag und die Sonne brennt gnadenlos auf die Festivalbesucher nieder, die wie ich ihr Hab und Gut durch den Staub auf den Campingplatz schleppen. Den Versuch, mir den Dreck aus den Augen zu reiben habe ich dann auch schmerzlich bereut, fühlte sich an wie Schmirgelpapier und brannte ganz entsetzlich. Aber genug gejammert, wir sind auf einem Festival und nicht im Fünfsternehotel, für die äußeren Umstände kann keiner was, da muss man schon mal die knirschenden Zähne zusammenbeißen.
Spaß macht die Schlepperei unter den Umständen noch weniger als sonst, juckt es doch am ganzen Körper und das Wegebier reicht wegen dem trockenen Mund noch nicht mal für die halbe Strecke zum Auto. Betrunken macht es aber wegen der Hitze ganz wunderbar und irgendwann ist es dann doch auch geschafft und man kann sich erst einmal auf dem mühselig erkämpften Zeltplätzchen entspannen. Da ist die Festivalwelt auch sofort wieder in Ordnung und die Vorfreude beginnt dann doch langsam Einzug zu halten: Bald geht es zu den Bühnen!
Bereit den inneren Teenager wiederzufinden geht es dann weiter zur Greenstage: Sum 41 stehen auf der Bühne und mit einem Mal war ich wieder ganz jung und singe selig Lieder wie „Pieces“ und „In too Deep“ mit. Ein Traum, die Band um Deryck Whibley live zu sehen, wegen der schweren Suchterkrankung des Frontmanns war damit ja nun nicht unbedingt mehr zu rechnen gewesen. Umso schöner, dass die Kanadier einen wirklich guten Auftritt hinlegten. Rechts und links ging es übrigens anscheinend vielen genauso wie mir: Sie entdeckten ihren inneren Jugendlichen wieder, irgendwie machte gerade das das Konzert ehrlich speziell. Jugendhelden bleiben eben einfach Helden! Sum 41 veröffentlichen übrigens Anfang Oktober ein neues Album namens 13 Voices, beide bereits erschienen Singleauskopplungen sind ziemlich empfehlenswert, gerade „War“ bringt noch eine Runde Gänsehaut mit sich, setzt sich hier Sänger Deryck Whibley mit seiner exzessiven Alkoholsucht auseinander, die er inzwischen überwinden konnte.
Darauf folgte eine kleine Pause, das Food Line-up muss ja schließlich auch einer gehörigen Prüfung unterzogen werden! Nichts ist wichtiger als eine gute Verpflegung und die ist auf dem Highfield allemal gegeben gewesen. Zum Abendessen gab es Lachsdöner: die Neuerfindung des Festivalessens! Leicht und extrem lecker hat der Lachs am Dönerspieß mit der feinen Senf-Honig Sauce sehr glücklich gemacht, auch wenn ich beim Essen zugegebenermaßen ein Stoßgebet gen Himmel geschickt habe, dass die Kühlkette bei den hochsommerlichen Temperaturen auch wirklich eingehalten wurde. No Risk no Fun, da kann man auch mal Fisch auf dem Festival essen und wie es sich gelohnt hat! Alle Daumen hoch für diese kulinarische Neuinterpretation!
Gestärkt ging es dann weiter zu Skunk Anansie, eine der Überraschungen des Festivals! Frontfrau Deborah Anne Dyer alias Skin ist ein absolutes Energiebündel auf der Bühne und es ist einfach unfassbar, was für eine Stimme aus diesem zierlichen Persönchen herauskommt. Komplett begeisternd und gerade „Weak“ sorgte zumindest für einen sehr persönlichen und emotionalen Moment im Sonnenuntergang. Schön, diese Band endlich einmal live gesehen zu haben!
Nach einem kleinen Zwischenstopp bei den irgendwie sympathisch wirkenden Sachsen von Heaven Shall Burn war es dann endlich soweit: der erste wirklich große Headliner stand mit Limp Bizkit an. Aufgewachsen mit Songs wie „My Generation“ und „Behind Blue Eyes“ war ich schon sehr neugierig, was Fred Durst nach all den Jahren auf der Bühne leistete und wurde bitter enttäuscht. Neben den großen Limp Bizkit Hits gab es allerhand unsäglicher Coverversionen. So litt Kurt Cobain im Grab gleich zweimal, als „Heart Shaped Box“ und „Smells like Teen Spirit“ neu interpretiert wurden, keineswegs besser erging es dabei den Nine Inch Nails, vor denen die Band auch nicht halt machte. Fred Durst hatte scheinbar einen schlechten Tag erwischt, weigerte sich „Behind Blue Eyes“ zu singen und überließ es dem Publikum, das den Part zwar äußerst textsicher aber doch etwas enttäuscht übernahm. Ein wahrscheinlich besonders bitterer Moment für all die eingefleischten Limp Bizkit Fans, die trotz Dursts Pöbeleien noch das Beste aus dem Konzert machten. So wunderte es dann aber auch nicht, dass man schon weit vor Ende des Auftritts viele Besucher zu der kleineren Bühne abwandern sah und mitunter auch einige in Limp Bizkit Fanshirts Gekleidete ihr Heil in der Flucht suchten.
Auf der Green Stage war auch deutlich mehr geboten, wartete man da doch schon sehnsüchtig auf das geheime Highlight des Festivals. Niemand traute es sich so wirklich laut auszusprechen, aber egal ob Rammsteinfan, Limp Bizkitanhänger oder Annenmaykantereithörer – eigentlich wollten alle nur Scooter sehen. Natürlich würde das keiner offen zugeben, aber die schon weit vor Konzertbeginn prallgefüllte Greenstage sprach Bände. Es kam, wie es kommen musste und ich schäme mich auch nicht es zu sagen: Scooter waren eines der absoluten Festivalhighlights! H.P. Bexxter und die chronisch in den 90er Jahren hängen gebliebene Show machten einfach unbeschreiblich Spaß. Egal ob blondiertes Haar oder knapp bekleidete Tänzerinnen mit dauerndem Kostümwechsel – Scooter wissen schon, wie sie die Leute animieren und sei es nur durch nostalgische Erinnerungen der Kindheit oder die doch extrem einprägsamen Texte, die man in jedem Zustand brüllen kann und die sich so ungemein fies jedem ins Ohr fressen. Gott sei Dank, denn so war ich mit Sicherheit nicht die Einzige, die drei Tage lang mit einem „Yea-ea-ea-ah,yea-ea, I feel hardcore/ Yea-ea-ea-ah,yea-ea, always hardcore“ im Kopf übers Gelände lief.
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