Virtuos. Verstörend. Hypnotisierend. Der Versuch, das Muse Konzert in der Münchner Olympiahalle in Worte zu fassen, scheitert kläglich. Zu real wirkte die Dystopie des Weltendes in den Zeiten einer multimedialen Gesellschaft, in der mit ferngesteuerten Drohnen Krieg geführt wird und Cyberkriminalität fernab von Sience Fiction eine Bedrohungen darstellt.
Die Band um Musikgenie Matthew Bellamy widtmete sich bereits in ihrem Konzeptalbum Drones genau diesem Thema. Wirkte das Album zwar gut, aber für Museverhältnisse anspruchslos, änderte sich dies im Livekonzept. Hier entfaltete sich das von Bellamy entworfene Untergangsszenario zu einer vollständigen Geschichte, erzählt von den zu absoluter musikalischer Höchstform auflaufenden Briten.
Schon das Intro lässt Musikherzen höher schlagen. Durch die in dunkles, blaues Licht getauchte Halle schallt ein sinfonisches, von Bellamy verfasstes Meisterwerk, das in einen sakral anmutenden Choral übergeht und nachträglich betrachtet das Ende des Musikabends vorwegnimmt. Unterbrochen wird dieser epochale musikalische Moment von mehreren kleinen, durch die Halle schwebenden und in gleisend hellblauem Licht leuchtenden, fliegenden Drohnen. Der erste, für Muse typische „Wow“-Moment, der die Zuschauer in die Szenerie zieht. Muse eröffnen dann passend mit der ersten Singleauskommplung „Psycho“ des neuesten Album Drones.
Was dann folgt ist an musikalischem Genie und konzeptuellem Geschick kaum mehr zu überbieten. Durch die mittig in die Halle gebaute 360° Bühne, wirkt die sonst so ungemütliche Olympiahalle plötzlich sehr klein. Es herrscht Clubatmosphäre und genau dieses intime Konzertgefühl verstärkt die Wirkung der grandiosen Lichtinstallationen, die die Songs der Band teilweise mehr als nur unterstreichen. Vielmehr tritt die musikalische Höchstleistung bisweilen in den Hintergrund und lässt die auf die in der Halle schwebenden Leinwände projezierten Lichtspiele und Kurzfilme wirken. Immer wieder tauchen die selben Figuren auf den Leinwänden auf, eine blasse, blonde Frau, die engelsgleich auf dem riesigen runden Bildschirm über der Bühnenmitte erscheint. Zeitweilig hängen die Bandmitglieder an aus Licht projezierten Marionettenfäden, die von einer überdimensionierten Hand gespielt werden und immer wieder tauchen die fliegenden Drohnen auf, mal in kühlem weiß, mal quietschend bunt beleuchtet, wie während „Supermassive Blackhole“. Alles in allem, eine gigantische Bühnenshow, die Spaß macht und fasziniert. So feiert sich das Münchner Publikum ekstatisch durch Songs aus dem neuen Album, wie „Dead Inside“ und Hits wie „Plug in Baby“ oder „Madness“.
Dass hinter dem musikalisch und künstlerischen Konzept aber viel mehr steckt als eine bombastische Show, wird in dem Moment klar, als Bellamy allein am Klavier sitzend den Weltuntergang begleitet. Aus dem sonst so engelsgleichen Frauengesicht wird eine glühende Fratze der Vernichtung, apokalyptische Bilder einer zerstörten Stadt mit rußig schwarzen Brandruinen werden sichtbar, Kriegsflugzeuge fliegen über die Leinwände und die sonst so bunten und schwirrenden Drohnen bekommen plötzlich etwas düsteres, beängstigendes. Man fühlt sich beobachtet von ihnen, sie kommen näher, fliegen nur knapp über der Menschenmasse. Eine bedrückende Stimmung macht sich breit im Moment des apokalyptischen Endes der Welt , die auf den Leinwänden in scheinbar abermillionen glühende Teilchen zerbricht. Während Bellamy virtuos am Piano das Ende der Welt vertont sieht man, wie sich aus den glühenden Überresten langsam aber sicher eine Sternengalxie bildet. Das Ende ist vollbracht. Aber dann geschieht etwas höchst emotionales: das Münchner Publikum hält inne, lauscht andächtig den Pianoklängen und es entsteht ein Gefühl des tiefen inneren Friedens. Eine Akzeptanz des Unausweichlichen und die Ahnung: Sollte so das Ende aussehen-es wäre tatsächlich in Ordnung. Genau dieses Gefühl ist zutiefst berührend und gleichzeitig auf eine gewisse Art völlig verstörend. „You will burn in hell“ klagen Muse mit „Take a Bow“ an, eine Mahnung an das jüngste Gericht. Hier schließt sich der Kreis zum sakralen, gesungenen Klagegebet vom Beginn des Abends. Theoretisch wäre hier das Ende der von Muse zwei Stunden heraufbeschworenen Dystopie. Jedoch hat die Konzeption des Konzertes noch einen klugen Schachzug im Ärmel.
Als letztes Lied des Abends wird „Knights of Cydonia“ angestimmt, das als perfekter Mittler zwischen der fiktiven Welt des Konzerts und der Realität fungiert. „No one’s gonna take me alive/Time has come to make things right/You and I must fight for our rights/You and I must fight to survive“ – Der Refrain ergibt in diesem Kontext eine komplett neue Bedeutung. Es ist eine kluge Warnung, ein Fingerzeig, die Dystopie nicht wahr werden zu lassen.
Dass die Band um Bellamy zu einer der musikalisch begnadetsten Bands unserer Zeit gehört ist bekannt. Auch, dass ihre Livekonzerte legendär sind ist, nichts Neues. Was Muse allerdings auf dieser Tour an einer konzeptionellen Meisterleistung vollbracht hat, ist kaum zu beschreiben. An diesem Abend passt alles. Jeder einzelne Lichteffekt spielt in das Ganze der auf der Bühne erzählten Geschichte mit hinein. Jedes einzelne Lied ist bewusst gewählt und an die entsprechende Position in der Setlist gerückt. Es ist ein perfekt inszenierter Abend, eine Mischung aus Konzert, Film und Installationskunst, die sich ganz aristotelisch auf eine völlige Katharsis ausgerichtet hat. Es wird mit einem Auf und ab gespielt, dem Weg, wie aus etwas Gutem, gekonnt durch die fliegenden Drohnen dargestellt, etwas Negatives werden kann. Wie eine heile und scheinbar funktionierende Welt schnell in Trümmern liegen kann. Wie eine Welt von äußeren Kräften scheinbar im Hintergrund regiert wird, wie Politik und Machthaber im Hintergrund ihre Fäden ziehen.
Ein solch durchinszeniertes Event läuft schnell Gefahr kühl und unpersönlich zu wirken und genau hier liegt die Stärke der britischen Formation. Sie schaffen es, ein zweistündiges, musikuntermaltes Drama rund um Gesellschafts- und Medienkritik auf die Bühne zu bringen, ohne, dass dabei eines der künstlerischen Elemente die Überhand gewinnt. Vielmehr bildet die Band eine Einheit mit der Story, verschmilzt mit der Kunst, sodass eine absolut surreale Wirkung entsteht. Ohne, dass sie sich aufdringlich in den Vordergrund drängen blitzt häufig das virtuose musikalische Genie der Bandmitglieder auf und wallt in teils sanften Klängen bis hin zu harten, psychedelischen Gitarrenriffs über die Zuschauer hinweg. Gerade durch die Bühnenkonstellation entsteht eine intime Konzertatmosphäre, aus der unpersönlichen Sporthalle wird ein intimer kleiner Raum und macht die grandiose Leistung dieser herausragenden zu einem noch intensiveren Erlebnis.
[…] Zum Review hier entlang […]