„Heima“. Einfach übersetzt ist dies das isländische Wort für Heimt. Zuhause. Und doch bedeutet das Wort noch viel mehr, also nur eine Bezeichnung für das Land oder den Ort an dem man geboren worden ist oder an dem man lebt. Viel mehr ist „Heima“ der Platz, an den Seele und Geist gehören, um frei zu sein. Dennoch wird „Heima“ im Isländischen häufig synonym für „Island“ verwendet. Heißt das dann automatisch, dass Island ein Ort ist, an dem die Seele und Geist frei sind? Klingt höchst spirituell und vielleicht sogar ein bisschen abwegig aber dennoch gar nicht so falsch. Zumindest hat man durchaus das Gefühl, dass an dieser Theorie etwas dran sein könnte, wenn die islädische Band Árstidir auf der Bühne steht.
In gewisser Weise haben Árstiðir ihr Heima mit in das Erlanger E-Werk gebracht. Die fünf Musiker aus Reykjavik verzaubern auf den ersten Ton und schaffen es, die kühl-liebevolle Atmosphäre ihrer Heimatstadt musikalisch festzuhalten. Ihre Songs klingen melancholisch, mit vielen Harmonien, schlagen sanfte Töne an und sind doch bombastisch. Dass Árstiðir kein unbeschriebenes Blatt in der Indie-Folk-Szene sind, zeigte sich spätestens, als sie 2012 als erste isländische Band überhaupt den Eiserner Eversteiner European Folk Music Award gewinnen konnten.
Für einen absoluten Glanzmoment des Abends sorgte Jón Elísson mit seinem düsteren „Shine“, die Vertonung eines Gedichtes, das er in einer depressiven Lebensphase verfasst hat. Jón Elísson hat sich dabei von einem Artikel über eine geplante Marsmission inspirieren lassen, die eine Rückkehr auf die Erde für die Missionsteilnehmer komplett ausschließt. „Shine“ transportiert das Thema Abschied von der Welt nicht nur in textlicher Form sondern beeindruckt dabei besonders durch die musikalische Umsetzung. Die düsteren Basssequenzen lassen einen als Zuhörer das Leid des Abschiedes förmlich mitfühlen, man wird Teil der ausweglosen Situation, die den Erzähler zu seiner Entscheidung getrieben hat. Der wehmütig Blick auf die Vergangenheit wird genauso greifbar wie die völlige Endgültigkeit und Unwiderrufbarkeit der getroffenen Entscheidung. Dennoch: Ein Funke Hoffnung, eine gespannte Erwartung auf das Unbekannte schwingt leise im Ton mit. Die gnadenlose Emotionalität zieht einen als Zuschauer in Bann, trifft einen und rührt zutiefst. Der Abend im Erlanger E-Werk ist ein absoluter Höchstgenuss für die Ohren. Dass Árstiðir gesanglich zur absoluten Spitze gehören zeigte sich besonders bei den A-Capella Einlagen, wie ihrer Interpretation von „Heyr himna smiður“, einer alten isländischen Weise. Árstiðirs Stil ist geprägt von harmonischen Klängen ihres mehrstimmigen Gesangs. Besondere Tiefe verleiht den Liedern die fast klassisch anmutende Instrumentalisierung durch Geige, Cello und Klavier, das ihre Lieder trotz allem Bombast zerbrechlich wirken lässt. Es ist die zurückhaltende Eleganz im Klang, die Árstidirs Lieder so zauberhaft machen und einen in eine völlig andere Welt abdriften lassen. Schließt man die Augen, kann man sich sogar ein bisschen wegträumen. Dann sitzt man plötzlich am Reykjaviker Hafen, hört die Möwen kreischen, spürt den eisigen Nordwind in den Haaren und hat den typischen Geruch aus Meer, Salz und Seetang in der Nase. Man weiß, wenn man jetzt nach links über die Schulter blickt, sieht man die fantastische Konstruktion der Harpa und dahinter luken Schiffe im alten Reykjaviker Hafen hervor. Rechts hat man einen wunderbaren Blick auf die Insel Viðey. Vielleicht sitzt man im Café Rosenberg vor einem Glas Bier und hört die so vertrauten Geräusche, das Klappern von Tellern und Besteck, sieht die alten Instrumente an den Wänden hängen und blickt durch die großen Fenster nach draußen auf den Klapparstígur.
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