Eigentlich schreiben wir auf Hailtothebeat ja eher über Konzerte von Alternative-, Indie- oder auch mal Metalbands. Am vergangenen Freitag haben wir eine Ausnahme gemacht. Uns hat einfach mal interessiert, wie es auf einem Konzert von einem der momentan bekanntesten Deutschpopsänger ist. Und so viel schon mal vorab: wir wurden überrascht!
Vom Bravo-Liebling zum Mainstreampop
In den letzten zwei Jahren ist Wincent Weiss vom Liebling der Bravo-Redaktion zu einem der erfolgreichsten Sänger Deutschlands in der Sparte „Menschen Leben Tanzen Welt“ – wie Böhmermann es so schön beschrieben hat – aufgestiegen. Dass sich der Sänger aus Schleswig-Holstein jedoch live musikalisch facettenreich zeigt und seine Songs nicht im einheitlichen Popklang runterspielt, hat er in der ausverkauften Westfalenhalle bewiesen.
Natürlich waren 80% des Publikums weibliche Teenies. Wer aber einen Blick auf die Ränge geworfen hat, sah durchaus auch ein gemischtes Publikum. Familien, Großeltern und vereinzelt sogar langhaarige Männer in Metalshirts!
Das Kreischen wurde erstmals lauter, als Wincent Weiss sich mit einer Gitarre in den Händen auf den ins Publikum ragenden Steg stellt und den eher ruhigen Song „Irgendwie anders“ singt. Gefolgt von den Singles „Kaum erwarten“ und „Hier mit dir“ von seinem zweiten Album Irgendwie Anders. Damit hatte er die musikalisch schwächsten Songs des Abends schon gespielt.
Textsichere Fanbase
Der Singchor seiner Fans im Publikum war jedoch von Anfang extrem laut und verdammt textsicher – so textsicher sind wir manchmal bei unseren Lieblingsbands nicht. Generell scheint der Sänger eine sehr treue Fanbase zu haben. So wurden im Vorfeld des Konzerts kleine bunte Schnipsel in der Halle verteilt, die man sich vor die Handytaschenlampe kleben konnte und so ein buntes Lichtermeer entstand.
Was beim Konzert sehr schnell auffällt: Wincent Weiss hat sein Publikum gut im Griff und schreckt auch nicht vor Publikumskontakt zurück. So springt er zeitweise mitten in die Menge, um dort mit seinen Fans zu tanzen – was nicht zuletzt einige Fans fast weinend zurücklässt. Oder aber er gratuliert einer älteren Dame höchstpersönlich zum Geburtstag, in dem er vom Innenraum den Unterrang hochklettert und ihr einen Merch-Pulli überreicht. Für BVB-Fans sagt er zwischendurch sogar mal den aktuellen Spielstand durch, was allerdings die Mehrheit seiner Fans gar nicht wirklich zu interessieren scheint. In seinen Ansagen wiederum erzählt er außerdem unglaublich schnell unglaublich viele Hintergrundgeschichten zu den einzelnen Songs, so z.B. zur Ballade „Nur ein Herzschlag entfernt“, die er für seine kleine Schwester geschrieben hat.
Deutschpop Coversongs
Bis hierhin also alles recht sympathisch. Doch dann kommt mit einer Deutsch-Pop-Covereinlage ein Part des Konzerts, der nicht unbedingt hätte sein müssen. Auch, wenn das Publikum natürlich Songs von Mark Forster & Co gerne mitsingt. Aber wozu muss man sowas auch noch covern, wenn man doch eigene Deutschpopsongs hat? Einziges Highlight hier: Mit dem Cover von Annenmaykantereits „Pocahontas“ macht Wincent Weiss fast schon Sänger Henning May Konkurrenz, indem er mit einer sehr kratzigen Stimme überrascht.
Generell wird beim Konzert deutlich, dass Wincent Weiss stimmlich durchaus wandelbar ist und eigentlich live viel rockiger und kratziger singt, als es seine Songs auf Platte vermuten lassen. Auch seine Band hat Livequalitäten. Gitarrist Benni Freibott erinnert zeitweise ein wenig an Jack Black im Film „School of Rock“ und überrascht dann bei den Backing Vocals mit einer extrem hohen Stimme. Außerdem sind manche Songs komplett neu arrangiert. So wird der erste erfolgreiche Hit „Unter meiner Haut“ etwa zu den Beats von Eminems „Lose Yourself“ gespielt. Interessant.
Wincent Weiss überrascht mit Metaleinflüssen
Sympathiepunkte sammelt Wincent Weiss, als er erzählt, dass er ja eigentlich aus dem Metal kommen würde und Bands wie Killswitch Engage gehört hat. Auf die Frage, wer die Band kennt, meldet sich niemand. Da waren wir wohl die einzigen, die die Band kennen!
Mit der Ansage leitet er ein Medley aus etwas älteren Songs seines ersten Albums ein, die er in einem neuen Arrangement mit durchaus passenden Rock- und Metaleinflüssen spielt und sogar zeitweise ins Mikro screamt. Echt jetzt? Ja! Und das hätten wir auch nicht gedacht! Vielleicht nimmt Wincent Weiss ja irgendwann doch mal einen Metalsong auf? Stimmlich würde es sogar zu ihm passen. Den Reaktionen mancher Fans zu urteilen, scheinen einige ob der doch recht Gitarren lastigen Klängen dann aber doch etwas überfordert gewesen zu sein.
Fast mehr Pyro als Rammstein
Das Konzert endet nochmal mit viel Pyro, die schon fast Rammstein Konkurrenz macht und natürlich darf auch das Feuerwerk zur passenden Hit-Single mit ganz viel Konfetti nicht fehlen.
Unser Fazit: Irgendwie anders als gedacht! Man kann so viele Vorurteile gegenüber Deutschpop haben, sollte sich aber zumindest mal selbst ein Bild davon gemacht haben. Und auch, wenn man die Musik von Wincent Weiss vielleicht nicht mag, muss man anerkennen, dass er da eine ziemlich gute Show in einer ausverkauften Halle vor gut 10 000 Menschen hingelegt hat. Mit seiner Stimme könnte er zwar auch locker in einer Alternative-Rockband singen, aber Deutschpop ist eben erfolgreicher und momentan mehr gefragt. Der einzige Wehmutstropfen, den wir trotz der guten Stimmung in der Halle zu beklagen haben: warum haben so wenig Leute getanzt? Gerade Dank des zeitweise rockigen Sounds konnte man das eigentlich hervorragend machen! Leider war der Großteil des Publikums eher damit beschäftigt, Handyvideos zu machen. Schade.
Schreibe einen Kommentar