Ich habe eine Löffelliste – also eine Liste von Dingen, die ich gemacht haben will, ehe ich den Löffel abgebe. Und am vergangenen Donnerstag im Zenith in München konnte ich eine Sache darauf abhaken: einmal „Don’t Look Back in Anger“ live hören und laut, mit erhobenen Armen, mitbrüllen. Check.
Noel Gallagher war mit seinen High Flying Birds dort zu Gast und auch, wenn mindestens 80% der Konzertbesucher weder wegen ihm sondern wegen den Birds da waren, war es ein wunderbarer Abend. Wer immer noch auf der Leitung steht: Noel Gallagher war in den 90ern und frühen 2000ern Gitarrist und (viel wichtiger) Songwriter einer der besten Bands der Welt: Oasis. Nicht zu verwechseln mit seinem Bruder Liam, der Sänger und passionierter Tambourinspieler ist – wem es sich nicht merken kann, helfen Kraftklub: …und wenn du mich küsst, dann schreibt Noel wieder Songs für Liam. Alles klar.
Seit es Oasis nicht mehr gibt, macht Noel Musik mit seiner 9-köpfigen Band, den High Flying Birds. Es ist poppig, teilweise experimentell angehaucht, tanzbar und manchmal auch einfach nur Gänsehaut-auslösend schön. Sie touren gerade mit ihrem neuen Album Who Built the Moon und Songs, die direkt ins Ohr gehen und bei denen man auch nach einem Refrain mitsingen kann. Noel und seine ausgezeichnete Band machen Spaß – da sind Profis am Werk. Besonders erwähnenswert hier die Französin aus Marseille, die wahlweise singt, Tambourin spielt oder – und das ist kein Scherz – die Schere. Ja, eine Küchenschere. Ehrlich.
Das tut der Musik aber keinen Abbruch, sorgt jedoch für die Erheiterung des Publikums. Noch ein kurzes Wort hierzu: Altersdurchschnitt eher hoch, aber nicht Amigos-hoch, männerlastig, textsicher (bei den gewissen Songs), sehr betrunken (Oasis-style) und man sieht auch einige Familienausflüge. Ein Bonus: zwar viele Paare, aber keins knutscht. Dafür müssen meine Begleitung und ich uns nach „Dead in the Water“ kurz aneinander festhalten, weil es uns so berührt hat. Nach den Oasis-Songs mein absolutes Highlight – sogar (aber keinem verraten) für mich noch besser als „Wonderwall“.
Und auch, wenn das Zenith zur Hälfte abgehängt und es bei Weitem nicht eng ist, spürt man einfach, dass dort jemand Großes vor einem steht. Nicht nur, weil Noel es selbst wohl noch nicht ganz gemerkt hat, dass das Zenith nicht die Olympiahalle ist und sein Bühnenbild mit live Aufzeichnungen und Projektionen sehr eindrucksvoll ist, sondern auch, weil es einfach Noel fucking Gallagher ist, der da vor einem steht. Er hat nicht die Präsenz wie sein jüngerer Bruder und er scheint auch nicht mehr so high zu sein wie damals zu Oasis-Hochzeiten, aber irgendwas hat er doch an sich. Manchmal scheint es so, als ob er am liebsten nur Gitarre spielen würde, aber dann tritt er wieder ans Mikro und ich bin froh, dass er jetzt auch singt. Besser als damals, wenn Liam wieder mal zu high war und er mitten im Lied einspringen musste.
Trotz aller Liebe für Noel Gallagher’s High Flying Birds – als dann endlich die ersten Töne von „Little by Little“ erklangen, hätte ich vor Glück fast geweint. Da kann der Rest des Sets noch so solide gespielt, mit einem Hammer Bühnenbild versehen und mit Herzblut gesungen sein, nichts toppt die alten Oasis-Songs live. Noel, übrigens sehr gut gelaunt, gratulierte dem FC zur Champions League (im Hintergrund hing die Manchester City Fahne) und erbarmte sich dann irgendwann auch und fragte, ob wir denn alle Oasis Fans sein. Das Publikum bejahte eifrig und er korrigierte noch einmal – „I mean of course YOU are Oasis Fans“. Touché.
Bei jedem Wechsel zur Akustikgitarre hoffen wir kurz, dass jetzt „Wonderwall“ kommt, werden immer enttäuscht, dann von „Dead in the Water“ komplett aus den Socken gehauen und am Ende endlich belohnt. Natürlich in der Noel-Version, aber nicht weniger schön. Dazu gönnte er uns noch das eben erwähnte „Little by Little“, das eher unbekanntere „The Importance of Being Idle“, „Half the World Away“, „Go Let It Out“ (Magic Concernt Moment 10000 an diesem Abend die Zeile „We’re the keepers of their destiny“) und die Legende aller Oasis-Legenden, „Don’t Look Back in Anger“, in der emotional version. Die Glücksgefühle, die durch den Saal fluteten, als die ersten Takte erklungen waren unfassbar… und auch, wenn Noel sicher keinen Bock mehr auf die alten Schinken hat, wirkte er nicht unlustig.
Nur bei diesem Lied hat er uns den Refrain alleine singen lassen. Das konnten wir aber auch. Zum Ende noch ein besonderes Schmankerl – wie zu Oasis-Zeiten gab es ein Beatles-Cover, uns wurde im Zenith „All You Need Is Love“ gegönnt und es war surreal, wie die eine Legende der britischen Pop-Kultur eine andere coverte.
Noel ist nicht Oasis und Noel ist sicher nicht Liam. Die Oasis-Songs klingen jetzt anders, und vor allem anders als die High Flying Birds. Und das ist auch gut so. Dieses Konzert kann nicht als Zeitreise in die glorreichen 90er gelten, aber wer Oasis mag und sich auf Noels neue Musik einlässt, wird einen wunderbaren Abend haben – und nebenbei noch merken, dass er immer noch verdammt gute Songs schreibt. Wir waren für „Don’t Look Back in Anger“ da, aber zumindest ich würde auch für den Rest wiederkommen.
Text: Franzi
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