„Endlich sehen wir sie live, sonst kann ich nur bei Youtube Konzertausschnitte gucken. Oh mein Gott!“, erklärt mir Nicole (17) und umarmt ihre Freundin, mit der sie heute hier ist. Beide sehen dabei ziemlich glücklich aus und das ist noch eine Untertreibung. Aber noch passiert nichts auf der Bühne, dennoch brandet immer wieder Applaus auf, jede Bewegung, die durch den rot angeleuchteten Vorhang zu erkennen ist wird mit „Twenty One Pilot“ Sprechchören begleitet, während im Hintergrund leise Sigur Rós läuft. Eine völlig absurde Kombination, aber genau diese Absurdität wird den Zauber des Abends weiterhin ausmachen.
Twenty One Pilots ziehen in Bann
Als der Vorhang dann endgültig fällt gibt es kein Halten mehr. Weder für Nicole noch irgendeinen anderen Besucher. Das Münchner Publikum feierte und sang bisweilen so laut mit, dass man Sänger Tylor Joseph kaum mehr verstehen konnte. Neben „Heathens“, dem Song zum Blockbuster Suicide Squad und „Stressed Out“ tanzte man auch zu dem reggeangelehnten „Ride“ oder zu „Heavydirtysoul“. Mit ihrer Mischung aus Elektro, Poprock und Hiphop kreiert das Duo dabei einen Sound, der einen während des Konzertes komplett in Bann zieht.
Bunter Anarchozirkus
Twenty One Pilots legen eine perfekt durchgestylte Show hin, die bisweilen ein bisschen wie modernes Musiktheater wirkt. Frontmann Tylor Joseph tobt in Sturmmaske und Anzug über die Bühne, nur um im nächsten Augenblick im Hawaiihemd auf einem ca. fünf Meter hohen trapezähnlichen Podest mitten in den Zuschauern zu performen oder in einem überdimensionalen Ball über das Publikum zu toben. Im Hintergrund flimmern dazu absurde Bilder von Kaninchen mit blutunterlaufenen Augen über die Leinwand. Gepaart mit der Energie von Schlagzeuger Josh Dun, der gnadenlos auf seine Drums eindrescht entwickelt sich der Abend dann zu einer Art anarchischem Zirkuskonzept. Seinen Höhepunkt findet das Konzert dann beim Song „Trees“. Zwei mit Trommeln ausgestattete Holzplatten werden in die Menge gelassen und Tylor Joseph und Josh Dun surfen darauf über das Publikum. Ein erster Trommelschlag. Rauchfontänen. Rotes Konfetti und die Ekstase an diesem skurrilen Abend ist perfekt.
Gelungener Abend
Man könnte erwarten, dass das Konzert zu einem durchgestylten, perfektionistischen Gesamtwerk verkommt, dem jeglichste Seele fehlt. Genau das verhindert die Band allerdings durch ihre einnehmende Bühnenenergie und durch einfließende persönliche Momente. Frontman Tylor Joseph holt beispielsweise seinen Bühnentechniker Murphy auf die Bühne, der an diesem Tag das Vergehen schlechthin auf Tour begangen hat – er hat seinen Tourausweis verloren. Den bekommt er dann live auf der Bühne wieder zurück, nicht ohne um Vergebung für seine Tat zu bitten und sich gebührend vom Publikum feiern zu lassen. Genau diese Brüche aus der sonst perfekten Show machen das Konzert aber zu einem sehr angenehmen Liveevent und die Twenty One Pilots werden ihrem Ruf, eine ausgezeichnete Liveband zu sein damit mehr als gerecht.
Nicole und ihre Freundin liegen sich am Ende des Abends übrigens wieder selig grinsend in den Armen. Beide können noch nicht recht fassen, was in den letzten gut 100 Minuten passiert ist, aber das ist egal. Sie haben Twenty One Pilot live gesehen und sind einfach nur happy. Das Konzert hat also alles erreicht, was es sollte: Überglückliche Besucher.
Fotocredits: Wearephotographers
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