An den Stahlträgern des Münchener Zenith hängen meterlange Lichterketten und verbreiten spärliches Licht. Pärchen liegen sich in den Armen und lauschen andächtig. Die Bühne erhellt nur ein einziger Spot. Dort sitzt Henning May, Sänger von AnnenMayKantereit, am Klavier. „Barfuß am Klavier“ heißt der Song und ist wohl einer der Schönsten, die AnnenMayKantereit jemals geschrieben haben und so komisch es klingen mag: Irgendwie wirkt die Szenerie sehr persönlich und auf absurde Weise tatsächlich romantisch. Dass es in dem Lied um das Scheitern einer Beziehung geht ist dabei nebensächlich – der Moment macht das wett.
Vom Sunny Red ins Zenith
Gerade fünf Jahre lang macht die Kölner Band AnnenMayKantereit miteinander Musik. Vor zwei Jahren gab es dann den kometenhaften Aufstieg: Mit ihrer 2015 veröffentlichten EP Wird schon irgendwie gehen katapultierten sie sich vom Geheimtipp, der noch vor 30 Besuchern im Münchener Sunny Red spielte, in die großen Hallen Deutschlands. Keine zwei Jahre später stehen sie vor einem schon weit im Vorhinein ausverkauften Zenith und grob überschlagene 6000 Leute mehr wollen sie diesmal sehen. Seither haben sich die Vier auch einiges an Bühnenerfahrung erspielt. Neben ihrer Zirkuszelt-Tour zur Veröffentlichung ihres Albums Alles nix Konkretes (2016) haben sie gefühlt auf jedem größeren Musikfestival gespielt, mitunter sogar in der Co-Headliner Position, wie beispielsweise auf dem Highfield oder Chiemsee Summer. Vom ehemals schüchternen, mit auf dem Rücken verschränkten Armen am Mikro stehenden Henning May ist nur noch wenig übrig geblieben. Inzwischen wagt er mitunter sogar schon ein Tänzchen auf der Bühne und lockert den Konzertabend mit kleinen Geschichten rund um die Band auf. So erfährt man ganz nebenbei, dass das Lied „Das Krokodil“ für ihren Tonmann geschrieben wurde und seinen Tagesablauf dokumentiert. Um die Songtitelfindung zu erleichtern, haben AnnenMayKantereit das Lied gleich nach ihm benannt. Krokodil sei nämlich der Spitzname ihres Tontechnikers, so May.
Alte Couchsurffreundschaften auf der Bühne
Einen ganz besonderen Ehrengast gab es an diesem Abend auch: Julia an der Posaune. Kennengelernt haben sich AnnenMayKantereit und die Posaunistin über Umwege: Vor einigen Jahren hat Julia die Band als Couchsurfer bei sich aufgenommen, der Kontakt ist geblieben und so stand Julia am Abend kurzerhand mit auf der Bühne. AnnenMayKantereit präsentieren sich grundanständig-bodenständig auf der Bühne. Vielleicht liegt genau darin das Geheimnis ihres inzwischen riesigen Erfolges: Mit der Kölner Band können sich einfach viele Hörer identifizieren. Vom selig in den Sänger verliebten Teeniemädchen, über den geneigten Radiohörer bis hin zum Musikliebhaber, der eine musikalisch gute Liveband schätzt – alle finden sie in AnnenMayKantereit, was sie suchen.
AnnenMayKantereitscher Alternative-Pop überzeugt
So ist es auch nicht verwunderlich, dass gerade die bekannten, radiotauglichen Lieder, wie „Pocahontas“, „Oft gefragt“ oder „21,22,23“ zu den Mitsing-Highlights werden. Es kennt sie einfach jeder. Zu einem wirklichen Gänsehautmoment wurde aber „James“. In dem Frühwerk aus dem Jahr 2013 konnte Henning May endlich zeigen, was seine kratzige und raue Stimme wirklich kann – nämlich noch eine ganze Menge mehr, als man eh schon weiß. Plötzlich wird der annenmaykantereitsche Alternative-Pop ganz bluesig. Das ist eine komplett andere Seite der Band, die aber gerade durch Henning Mays Stimme extrem gut funktioniert. Das Ganze steht den Kölnern musikalisch tatsächlich sehr gut zu Gesicht. Diese Variabilität überzeugt einfach und macht AnnenMayKantereit als Liveact interessant, was den geneigten Musikliebhaber durchaus freut. Einen guten Job macht aber nicht nur May, sondern auch jeder seiner Bandkollegen, die ihre ganze Livererfahrung ausspielen und dabei auch sichtlichen Spaß haben. Dennoch: im Fokus der Aufmerksamkeit steht Sänger Henning May und spätestens als er im spärlichen Licht am E-Piano sitzt und „Barfuß am Klavier“ im Schein der Lichterketten spielt, fliegen ihm auch noch ein paar mehr Herzen seiner jugendlichen Fans zu und das für den Moment auch gerechtfertigt. Es war aber auch schön.
Fotos: Wearephotographers
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