„Ach und ESC – fickt euch!“, richtet Drangsal auch im Münchener Ampere seine Worte an die Jury des Eurovisionsongcontests, die seinen Beitrag für das Jahr 2019 ohne weitere Begründung abgelehnt haben. Da blitzt es wieder durch: Konfliktscheu ist Drangsal nicht, notfalls legt er sich auch mit der Welt an. Oder eben mit den Machern des Eurovision Songcontests, die die geballte Fanpower samt freundlichem Rant des Herxheimers zu spüren bekommen haben und das nicht ganz gentlemanlike getragen haben. Im Publikum ertönen leise Buh- Rufe. Die ESC Kommission ist auch in München in Ungnade gefallen. Dafür wird Drangsal umso mehr gefeiert.
Drangsals tiefdüstere Energie
Der hat eine sensationelle Setlist für den Abend mitgebracht. Ganz ausgewogen halten sich die Songs seines Erstlingswerks „Harieschaim“ und des 2018 erschienen „Zores“. Was sich bereits in der Festivalsaison gezeigt hat, zieht sich auch durch das Konzert: Beide Alben harmonieren live wunderbar und ergänzen sich sehr gut. Der düstere 80s Synthie-Sound, irgendwo zwischen Wave und NDW, tut sich gut an. Drangsal hat sich inzwischen seinen ganz ureigenen Sound geschaffen, der so einzigartig und unangepasst ist wie er selbst. Mit einer gewissen „Anti alles für immer“- Attitude steht er mit seiner Band auf der Bühne und liefert eine verdammt starke Leistung ab. Spätestens beim endlos schweren „Eine Geschichte“ ist klar: Da geschieht gerade etwas Großartiges auf der Bühne. Drangsals Song entwickelt plötzlich eine urwüchsige, rohe Kraft. Es ist der Moment, in dem Drangsals tatsächliches Genie als Künstler kurz durchblitzt. Sein komplettes Auftreten ändert sich binnen Sekunden, plötzlich ist da komplette Körperspannung und aus entspannt – unterkühlt wird eine theatrale Inszenierung. Drangsal ist für einen Moment „an“. Hinter all der lässigen Coolness, die er auf die Bühne bringt, steckt nämlich eine tiefdüstere Energie, die für einen kleinen Augenblick ungebremst auf das Ampere losgelassen wird und für eine verdammte Gänsehaut sorgt.
Gut gelaunt und tanzbar
Songs wie „Arche Gruber“ oder „Turmbau zu Babel“ stellen dazu einen ordentlichen Gegenpool. Sie lösen die Spannung problemlos auf und bringen das Publikum zum Tanzen. Mit Begeisterung werden „Alan Align“ und „Love me or leave me alone“ mitgesungen, genauso wie „Sirenen“. Bei Klaus Lages „1000 und eine Nacht“ ist es dann endgültig vorbei mit aller Zurückhaltung. In bester Wrestlingmanier reißt sich Drangsal das Hemd vom Leib, wirft es seinen Fans entgegen, performt, als gäbe es keinen Morgen mehr und das Ampere zieht 100% textsicher mit. Mit ebenso großem Enthusiasmus wird auch ein Geburtstagsständchen für Nadja gesungen, die an diesem Abend in der ersten Reihe steht und Drangsal bereits seit vielen Jahren als Fan begleitet. Auch das zeichnet Drangsal auf der Bühne aus, er ist spontan, nahbar und in stetigem Kontakt mit seinem Publikum vor der Bühne. Damit schafft er die Balance zwischen dem kühlen Künstler und dem entspannt-gutgelaunten Musiker mit hohem Entertainmentfaktor quasi mühelos. Dabei schafft er es, diesen beiden doch völlig gegensätzlichen Polen Stand zu halten und diese auch auf der Bühne als solche zu verkörpern.
Dumm gelaufen, ESC
Innerhalb der letzten gut zwei Jahre hat sich Drangsal eine ganz eigene Marke erschaffen. Sowohl Auftreten als auch Stilistik sind in dieser Form einzigartig. Damit katapultiert er sich in eine Riege mit all den Musikgrößen, die er selbst so verehrt. Die Fähigkeit, die Atmosphäre in einem Club derart nach Belieben zu regulieren ist eine Gabe, die man nicht lernen kann.
Dumm gelaufen ist das für den Eurovision Songcontest. Sie hätten einen großartigen Künstler bekommen können. Hätten. Hätten sie nicht Angst vor ihrer eigenen Courage gehabt. Macht aber nichts. Wer das, was Drangsal auf die Bühne bringt nicht würdigen kann, hat es auch nicht verdient.
(c) Fotos: Wearephotographers
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