Der große Gegenentwurf zum in der Branche und auch sonst durchaus belächelten ECHO soll er sein, der Preis für Popkultur, der im Berliner Tempodrom dieses Jahr erstmals vergeben wurde. Eine ausgewählte Jury wählt hier die Preisträger, im Gegensatz zum ECHO. Da zählen nur die Verkaufszahlen. Eigentlich ist die Idee des Preis für Popkulturen also eine ziemlich gute, nämlich Musiker und Bands zu unterstützen, die eben nicht gegen die übermächtige Helene Fischer antreten können, was ihren Plattenabsatz betrifft. Soweit so gut. Die bereits im Vorfeld veröffentlichten Nominierten versprechen dann auch viel. Neben den vielfach nominierten K.I.Z und Annenmaykantereit finden sich dann auch Bands wie Moderat und Drangsal. Letzterer ist am Abend auch live zu sehen, genauso wie Casper, Bosse und BOY.
Los war übrigens nicht viel, die Zuschauerblöcke rechts und links vor dem Bühnensteg bleiben leidlich gefüllt. Gut, dass das Lollapalooza kurzfristig noch ein paar Freikarten unter die Leute gebracht hat. Im hinteren Bereich saßen die Nomminierten an eleganten runden und schick gedeckten Tischen, Preisverleihungsatmosphäre ist zumindest für sie gewährleistet, der Rest steht sich die Beine in den Bauch.
Isolation Berlin eröffnen dann auch pünktlich zur TV Übertragung die Verleihung und rufen dann doch ein paar verstörte Gesichter hervor. Kann man mögen, muss man nicht, aber ein interessanter Einstieg ist es allemal. Als Moderator Bernd Begemann die Bühne betritt wird allerdings fix klar: Der Abend könnte lang werden. Mit versuchter Ironie und einem irgendwo auf dem Weg zur Bühne verloren gegangenen Witz stolpert Begemann von einer unlustigen Pleite in die nächste. Würde er es dabei belassen, die Gewinner nicht ausreden zu lassen oder die netten Preisanreicher bloßzustellen, könnte man es vielleicht irgendwie zähneknirschend ertragen. Besonders tragisch ist dann aber: Er vergisst gleich beide Laudatoren für den Abend. Wäre gar nicht aufgefallen, hätte sich Jan Böhmermann( Preisträger „Schönste Geschichte“-Schmähkritik) in seiner Maz nicht auffällig oft bei Felix (Anm. d. Red: Sänger von Kraftklub) für die schöne Laudatio bedankt. Peinlich aber wahr, Begemann beorderte den Kraftklubfrontmann dann schlicht hinterher zur Laudatio auf die Bühne. Der blieb ganz routiniert und löste die unglückliche Situation auf ganz charmante Art. Vielleicht wäre Felix Brummer fürs nächste Jahr ein passender Moderationskadidat, denn Begemann humpelte weiter von schlechtem Witz zur übertriebenen Selbstliebe und ackerte sich irgendwie mehr oder weniger elegant aber dafür extrem nervig durch den Abend. Im Publikum begann sich dann irgendwann auch leiser Protest zu regen. Der anfänglich wohlwollend nette Applaus verstummte, man überlegte, ob vielleicht bei der nächsten schiefgegangenen Anmoderation nicht „Hurensohn“ von K.I.Z angestimmt werden sollte. So kam was kommen musste: Begemanns letzter Moment der absoluten Selbstverliebtheit scheiterte kläglich. Er forderte das Publikum auf zum Abschluss noch einmal seinen Namen zu skandieren, die entnervten Zuschauer straften ihn schlicht mit Ignoranz. Kurzum: Ohne Begemann hätte es weit mehr Spaß gemacht, denn eigentlich war schon sehr viel geboten.
Erstes absolutes Highlight war denn auch Caspers Liveauftritt. „Lang Lebe der Tod“ vom gleichnamigen, irgendwann erscheinenden Album gab es zum dritten Mal überhaupt live, mitsamt einem Streichertrio als Unterstützung sowie Dagobert und Blixa Bargeld höchstpersönlich. Wowmoment. Dieses Lied ist für die Livesituation wie geschaffen und wirkt gerade mit den Streichern traumhaft. Neben der Singleauskopplung gab es eine weitere Überraschung – ein komplett neues Lied. Titel hat es noch keinen, so frisch aus der Feder ist es und ich muss sagen: Es war gut. Sehr gut sogar. Ruhig, balladenhaft im Stile eines Geschichtenerzählers präsentierte sich Casper hier. Interessant und auch sehr schön und auf irrsinniger Weise berührend. Man stand einfach nur da und lauschte dem, was er zu erzählen hatte. Ein ganz anderes Gefühl als bei der „Lang lebe der Tod“ Premiere auf dem Kosmonaut 2016, aber mindestens genauso eindrucksvoll. Für diesen Song heimste Casper übrigens auch eine Trophäe für das „Beste Lied“ ein.
Zwischen den durchaus beeindruckenden Musikeinlagen, wie beispielsweise Bosse, der gleich mit dem Berliner Kneipenchor als Unterstützung anrückte, wurden auch Preise verliehen. Bestes Album und beste Band gingen hier an Moderat. Es zeichnete sich also ab, dass der Preis für Popkultur sich nicht dringend am Mainstream orientiert. Den Preis für das Lebenswerk bekamen Kraftwerk und worden dafür mit einer langen und vielleicht etwas zu ausführlichen Rede in Abwesenheit honoriert. In der Kategorie bester Liveact setzten sich Deichkind gegen die bärenstarke Konkurrenz durch und sorgten mit ihrer Dankesrede für einen absoluten Höhepunkt. MC Phillip Gütering monierte nämlich zu wenig weibliche Nominierte an diesem Abend und er hatte Recht: Neben den „Lieblingssolokünstlerinnen“ Peaches und Mine standen noch BOY an diesem Abend auf der Bühne, aber das war es dann auch schon gewesen, mit den weiblichen Vertreterinnen. Zurecht aufgemerkt und zurecht Szeneapplaus der Besucher bekommen für diese klare Ansage.
BOY lieferten übrigens einen zauberhaften Liveauftritt ab. Mit „We were here“ und „Little Numbers“ begeisterten sie einfach wieder völlig. Ganz verzückt war ich wieder einmal von Valeskas positiver Ausstrahlung und Stimme. Traumhaft. „We were here“ prägte sich übrigens komplett als Ohrwurm ein und verfolgt mich nun schon seit Tagen.
Beendet wurde die ganze Verleihung dann von dem „Besten Newcomer“ Drangsal, der nicht nur vom Publikum, sondern auch von Casper samt Band stark gefeiert wurden, die sich still und heimlich in die zweite Reihe zu den Zuschauern geschlichen hatten und dort für ordentlich Stimmung sorgten. Drangsal selbst war gewohnt launisch und kündigte an, sich als Rausschmeißer zu beeilen,da er dringend aufs Klo müsse. Alan Align bekam sehr zur Freude von Casper im Publikum von Sänger Max Gruber einen neuen Namen verpasst: Kevin Align. Schlechter Wortwitz, aber dennoch irgendwie lustiger. Zumindest definitiv unterhaltsamer als Bernd Begemanns Versuche.
Mein Fazit zu diesem Abend: Die Grundidee des Preises ist keine schlechte. Das Gegengewicht zum alles überscheinenden ECHO ist nötig und der Preis für Popkulturen hat definitiv das Zeug dazu. Aber bitte nächstes Jahr mit einem anderen Moderator.
Schreibe einen Kommentar