„Willkommen zu Haus, wo jeder Tag aus Warten besteht
und die Zeit scheinbar nie vergeht, vergeht, vergeht
In diesem Hinterland. Verdammtes Hinterland“
Die Menge wirft ihre Arme in die Luft und singt lauthals zu „Hinterland“ mit. Zum Abschluss fällt Konfetti von der Decke, ein gelungener Abend, der schließlich mit einem tanzbaren „Jambalaya“ endet.
Audio88 & Yassin, Drangsal und SSIO
Bevor aber der eigentliche Protagonist des Abends, Casper, die Bühne betrat, hieß es für die Zuschauer im Publikum erst einmal, Voracts überstehen. Das soll an dieser Stelle nicht falsch verstanden werden, Drangsal machte seinen Job wie immer gewohnt gut und überzeugte mit den Songs seines Debütalbums Harieschaim. Lieder wie „Alan Align“ oder „Love me or Leave me alone“ wirken einfach immer und laden zum mitsingen ein.
Bis Drangsal die Bühne betrat, musste man allerdings erst durch ein knapp dreißigminütiges Set von Audio88 & Yassin überstehen. Die übten sich in einem verzweifelt-ironischen Versuch der Religionskritik. Das Problem an der Sache: Es funktioniert einfach nicht, wenn man sich in Priester-/ und Kardinalsrobe auf eine Bühne stellt und über keine Bühnenpräsenz verfügt. Die Texte des 2016 erschienen Albums Halleluja sind nicht schlecht und die Beats absolut erträglich. Woran es hapert ist die Liveperformance. Da funktioniert rein gar nichts. Es fehlt Präsenz und Flow, sodass das Ganze keinen sonderlichen Spaß macht. Tragisch ist dann eben auch, dass das Highlight des Sets ein Cover von „Was würde Manni Marc tun“ der Berliner KIZ war. Ein gutes Lied kann noch nicht einmal von mäßigen Rapkünsten zerstört werden.
SSIO: Sexismus und Prollgehabe
Wer dachte, Audio88 & Yassin wären das Lowlight des Abends gewesen, der hat scheinbar noch nie SSIO live ertragen müssen. Wir gehörten bis Samstagabend übrigens zu dieser glücklichen Sorte von Konzertbesuchern. Was SSIO auf die Bühne des Ringlokschuppens brachte, war schlicht das Ende jeglichen guten Geschmacks. Uns stellt sich bis heute die Frage: Wer und vor allem warum bucht man so etwas. Und insbesondere: Wer schaut sich diese Liveshows freiwillig an? Wir nicht. Sexismus und Assiprollgehabe ist schlicht und einfach nicht unser Ding, aber genau dadurch zeichnete sich auf traurige Weise das SSIO Set aus. Im Publikum war dann auch schnell am Verhalten einiger Besucher zu erkennen, dass es sich definitiv um SSIO Fans handelte. Rücksichtsloses Verhalten gegenüber anderen, sexistische Kommentare bis hin zur sexuellen Belästigung waren in der Crowd scheinbar völlig normal. Ein Gefühl, das wir so von Konzerten nicht kennen, schlichtweg zum Kotzen finden und aufs Schärfste verurteilen. Das ist kein Verhalten und gehört in einigen Fällen – wie in diesem hier – mit Sicherheit durchaus strafrechtlich verfolgt. Um eine nicht strafrechtliche Ahndung einiger Aussagen und Handlungen bettelte im Übrigen auch SSIO in regelmäßigen Abständen auf der Bühne. Mit flehendem Unterton bat er immer wieder, dass ihn das Publikum doch bitte nicht anzeigen solle, er hätte keine Lust auf die ganzen Anwaltskosten. Wir im Gegenzug hätten allerdings sehr gute Lust dazu. Zurecht im Übrigen, denn junge Mädchen auf die Bühne zu holen und sie mit leitenden Fragen mehr oder weniger zur Einwilligung zu zwingen, sich auf der Bühne auszuziehen und von SSIO in widerlichster Weise betatschen zu lassen, gehört auf kein Konzert. Auch auf keines von SSIO und insbesondere auf kein Konzert, an welchem dem Hauptact geschuldet, mit Sicherheit sehr viele minderjährige Mädchen sind. Das hat für uns persönlich schlicht und einfach nichts mit einer künstlerischen Inszenierung zu tun, das ist einfach nur ekelhaft. Kurzum: in nunmehr 12 Jahren aktiven Konzertbesuchens ist uns noch nie und wir betonen NIE etwas Schlimmeres und Widerwärtigeres live untergekommen. SSIO landet für uns in der dunkelsten und düstersten Schublade des Konzerthorrors. Gut verpackt und hoffentlich nie wieder zu durchleiden. Die Krone an den übelsten Liveauftritt geht damit vermutlich für ewige Zeiten an SSIO. Kann er sich vielleicht ein neues Goldkettchen für kaufen. Oder die Anwaltskosten bezahlen, sollte sich doch jemand dazu durchringen und ihn anzeigen.
Casper ist zurück Zuhause in Bielefeld
Etwas Gutes hatte aber die SSIO-Performance: Casper konnte nur in glänzend hellem Licht und mit einem sensationellen Konzert brillieren. Nicht, dass er das nötig gehabt hätte, denn der Konzertabend „Zurück Zuhause“ in Bielefeld war ein ganz Besonderer.
Angefangen mit dem altbekannten Intro „Im Ascheregen“, gefolgt von einem Mix aus Hinterland-Songs, sowie Lieder des Vorgängers XOXO. Natürlich wurden die Hits groß gefeiert. Aber in Bielefeld kennt man eben auch die Anfänge des Rappers. Da wird sich natürlich auch über die älteren Schätze wie „Hin zur Sonne“ oder „Kreis“ gefreut, die Casper an diesem Abend in seine Setlist gepackt hat. War man zuvor vielleicht noch etwas skeptisch, was Benjamin Griffey da wohl aus dem Ärmel zaubern würde – einige Wochen vor diesem alljährlichen Jahresabschlusskonzert in seiner Heimatstadt wurde bekannt, dass neben seinem Album nun auch die für das Frühjahr geplante Tour verschoben wurde – so musste man nach knapp zwei Stunden Konzert in einer schweißtreibender Menge in Clubatmosphäre zugeben, dass er dann aber doch alle wieder mal überzeugt hat. Mit einer geballten Energie sprintete und sprang Casper über die Bühne, mit wenig Ansagen, dafür aber mit einem deutlichen Grinsen im Gesicht, das Bände sprach. Man merkte es ihm an, dass er an diesem Abend verdammt viel Spaß hatte. Vielleicht lag es daran, dass Konzerte in seiner Heimatstadt immer auch etwas Besonderes sind. Inzwischen kommen die Leute dafür nicht nur aus Bielefeld und den umliegenden Städten Ostwestfalens, sondern nehmen auch viel längere Wege auf sich, um dieses besondere Konzerterlebnis mitzuerleben. Hier sind echte Casper-Fans am Start, die natürlich auch überaus textsicher mitsingen. Zwischendurch hatte dann sein Bandkollege Markus Ganter einen kleinen Rockstarmoment, als er bekannte Riffs auf seiner Gitarre anspielte, die die Menge dann direkt mitsang. Casper fand das Ganze offenbar so lustig, dass er ihn immer wieder anstachelte, noch mehr zu spielen. Ein kleiner Stadionrockmoment? Dann doch lieber im schnuckeligen Ringlokschuppen bleiben, der sich übrigens als sehr nette Konzertlocation entpuppt hat! Im Foyer konnte man sich übrigens noch eine kleine Fotoausstellung von Caspers persönlichen Konzertfotografen Christian Alsan ansehen.
Mit altbekannten Gästen auf der Bühne
Ein paar Überraschungen hat sich Casper dann auch noch für seine Fans einfallen lassen. In den Jahren zuvor waren immer einige Gäste mit auf der Bühne. So auch dieses Jahr. Für „Ganz schön okay“ kam spontan Felix Brummer von Kraftklub auf die Bühne gelaufen. Später leistete ihm dann der Bielefelder Rapper Timmi Hendrix für „Stampf ihn ein“ und „Komm ma ran“ Gesellschaft. Als sei das nicht schon genug gab es dieses Mal als erste Zugabe auch endlich den gemeinsamen Song „Keine Angst“ mit Drangsal, der ja bereits im Vorprogramm schon spielte. Casper und Drangsal, das ist auch eine große Musikliebe.
Alles in allem legte Casper an diesem Abend ein super Konzert hin – das er für seine Fans übrigens live auf Facebook übertragen ließ – am Ende verließen die meisten grinsend den Ringlokschuppen. Da ist es dann auch egal, dass man an der Garderobe eine halbe Ewigkeit eingequetscht auf seine Jacke warten musste.
Aber, so schön das Casperkonzert am Ende auch war – ein negativer Beigeschmack bleibt. Sexuelle Übergriffe gehören auf kein Konzert. Egal, ob nun Casper, SSIO oder sonst wer auf der Bühne steht. Ein faires und rücksichtsvolles Miteinander sollte Grundsatz für einen Konzertbesuch sein. In diesem Sinne bleibt uns nur noch zu sagen: Zurück Zuhause-Festival 2016 – es war nett mit dir aber eines muss gewährleistet sein: Safe Gigs 4 Women!
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