„Tarek, was ist dein Plan?“ Diese Frage haben wir uns nach der Ankündigung von „Golem“ gerechtfertigterweise gestellt. Mit K.I.Z läuft es doch blendend, in den letzten 20 Jahren hat sich die Band schließlich vom Underdog zum Massenphänomen samt ausverkauften Touren und Headlinerslots auf den größten Festivals des Landes gemausert. Ein bisschen Zynismus hier, ein paar Gewaltfantasien dort – die Menge feiert es. Kein Grund also, ein Soloalbum zu veröffentlichen, oder?
Doch. Ist es, denn wie bereits die erste Auskopplung „Kaputt wie ich“ andeutete: „Golem“ wird ein schweres Album. Tarek spart sich die K.I.Z- typische locker Verpackung harter Inhalte, vielmehr spricht er sie klar an. Ungeschönt. Ohne Zynismuskeule. So gnadenlos offen und selbstkritisch hat man ihn bis dato noch auf kaum einem Song gehört, „Freier Fall“ (auf „Hurra die Welt geht unter“ erschienen) sei an dieser Stelle einmal ausgenommen. Stilistisch knüpft Tarek aber genau hier an: Auf „Golem“ widmet er sich vermehrt den Gesangsparts. Eigentlich auch keine sonderliche Überraschung, aber die Autotunedröhnung ist neu. Von ihr kann man halten, was man möchte, auffällig ist aber: Autotune gibt es hauptsächlich auf den Songs, die sich thematisch eher den persönlichen Inhalten nähern. Es kann als Stilmittel dienen oder aber auch als unterbewusst gesetzter Schutz. Zu viel von sich zeigen tut schließlich verdammt weh.
Tarek nimmt seine Hörer mit auf eine Reise durchs Leben. Von Beziehungsproblemen ist die Rede, Drogensucht („Weißer Drache“) und Selbsthass und dem Gefühl der erdrückenden Einsamkeit in der Trauer. Er erzählt von einem Moment, in dem einem nichts mehr bleibt, als die bloße Erinnerung an eine geliebte Person, mit dem Wissen, dass man von ihr geformt wurde und einen Teil für immer bei sich tragen wird („Frühlingstag“).
„Letzte Chance“- eine psycho-soziale Fallstudie
Der Song, der in Grundfesten erschüttert, erzählt von der ohnmächtigen Wut eines Jungen, der mit ansehen muss, wie seine Mutter ein ums andere Mal Opfer häuslicher Gewalt wird, es aber nicht schafft, sich aus dieser missbräuchlichen Beziehung zu lösen. „Darf man seine Mutter hassen?“ fragt Tarek in „Letzte Chance“ ganz plakativ aus dem Narrativ heraus und doch ist diese Wut nur ein Symbol für die eigentliche Liebe und das Gefühl, sie schützen zu müssen „Bald bin ich groß genug, dann halte ich ihn auf.“ Und dennoch: Was kann ein kleiner Junge schon tun, wenn er in einer dysfunktionalen Familie aufwächst und niemand hinschaut? Tarek spricht genau dieses gesellschaftliche Versagen in seinem Song klar an. Niemand reagiert, jeder schaut weg – lieber der feige Kontaktabbruch, statt Taten. Nicht einmal das Jugendamt tritt in Aktion. Wie zerstörerisch diese Situation für eine Kinderseele ist, fasst er präzise zusammen: „Im Spiegel sieht mich ein feiger Hund an. Schwaches Selbstbewusstsein auf breiten Schultern.“ Es sind die breiten Schultern eines Kindes, das versucht, sein Schicksal und auch das seiner Mutter in dem Moment mitzutragen, als alle sozialen Stützsysteme versagen. Es ist eine Fallbeschreibung und doch ein wütender Schrei in Richtung der Menschen, die lieber die Augen verschließen, statt zu helfen. Was Tarek hier gelingt ist, das Augenmerk auf die Kleinigkeiten zu richten, er schafft eine klare Darstellung der dysfunktionalen Strukturen und behält einen abstrahierten Blick auf die Geschehnisse. Abgeklärt berichtet er und genau deshalb geht der Song an die Nieren.
Eskapismus mit dem weißen Drachen – Ein Selbstmord auf Raten
Man merkt diesem Album an, dass an den Songs ein Künstler gefeilt hat, der über die Jahre gereift ist. Sowohl musikalisch als auch persönlich. In „Kaputt wie ich“ arbeitet Tarek schonungslos heraus, dass er über einen langen Zeitraum Raubbau an seinem Körper betrieben hat und sowohl physisch als auch psychisch am Boden war. „Selbstmord auf Raten“, wie er diese Zeit selbst betitelt und die vielleicht ganz symptomatisch war: Eine Flucht vor sich selbst und den eigenen Gedanken. Ganz in dieser Reihe steht „Weißer Drache“, ein Song über das Sich-Verlieren im Drogenrausch.
Brutale Gesellschaftskritik bis auf den letzten Tropfen Blut
Beschäftigt sich Tarek in „Golem“ zu einem großen Teil mit klaren und detaillierten, teils grandiosen Fallbeschreibungen und dem schonungslosen Sezieren seiner eigenen Gefühlswelt, kann er dennoch nicht aus seiner Haut hinaus. Er ist und bleibt Tarek K.I.Z, harte, aber elegant verpackte, gesellschaftspolitische Kritik ist für ihn ein Muss und es ist seine absolute Königsdisziplin. Sein Meisterwerk hat er mit „Nach wie vor der Boss“ geschaffen. Sowohl songtechnisch, als auch im Video bezieht er klar Stellung. Ohne Stellung zu beziehen. Er macht sich nicht angreifbar und genau das ist der Clue der Sache: Diese unabstrahierte Abstraktion gibt ihm die Möglichkeit, ein mehr als deutliches politisches Statement zu setzen. Wenn man es denn als solches verstehen mag. Wenn nicht: Manege frei für einen fröhlichen Splatter-Movie. „Nach wie vor der Boss“ steht hier aber nur exemplarisch für die gesellschaftspolitischen Utopien, auf die Tarek K.I.Z insbesondere in seinen Videos anspielt, die im ersten Moment zwar weh tun (No Pun Intended, liebe AfD) aber auf tragische Art so unrealistisch nicht sind.
Golems zurückhaltende Soundgestaltung
Die Tatsache, dass der Sound des Albums hier kaum im Fokus steht, verdeutlicht die Schwerpunktsetzung des Albums. Passend zu den eher schweren Themen wirken die Sounds smooth, hier findet man einen Gospelchor, dort klingt es nach einem ordentlichen „Prince“ Einfluss („Nubischer Prinz“). Letzteres ist nicht verwunderlich, nimmt besagter Musiker einen wichtigen Stellenwert in Tareks musikalischer Biographie ein, bestanden seine ersten frühen Berührungspunkte mit Musik aus Prince-Songs, die ihm sein Vater zum Einschlafen vorsang. Bis auf einige wenige Ausnahmen, wie das bereits genannte „Nubischer Prinz“ ist das Album vom Soundgefüge zurückgenommen, beinahe unauffällig. Angenehm zurückhaltend übernehmen die Beats die Aufgabe, die Atmosphäre zu gestalten, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Das Augenmerk liegt hier auf dem Prunkstück „Golems“: Tareks eindringlichem Songwriting, bei dem man das Gefühl hat, dass er seinen Blickwinkel und seine Beobachtungsgabe noch einmal um einiges geschärft hat. „Golem“ ist die Essenz dessen, was Tarek K.I.Z als Musiker ausmacht und egal, ob man nun Fan von Autotune ist oder sich mit den Gesangsparts anfreunden kann: Es ist alles Teil des Stilmittels und der Erzählweise dienlich und somit notwendiger Teil der Geschichte. Es Teil des Golems, den Tarek nach seinem Abbild geschaffen hat, so wie es sein Plan war.
Beitragsbild: Gerngross Glowinski
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